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Und plötzlich, hierzulande seit dem frühen März, war alles weg. Die letzten Reste des Wintersports, Biathlon und alpin, vor allem aber Fußball. Wie ein abgebrochenes Spiel war es, aus Gefahrengründen, klar, eben Corona. Ein wesentlich auf Körperkontakt setzender Sport, der konnte nicht einfach so weitergehen, so weit zur Einsicht der Abermillionen, die an dieser Kultur hängen. Und doch: Es fehlt viel seither. Die Spiele und Spieltage sowieso. Die Radioreportagen, Konferenzschaltungen, die akkurate Tabellarik im Videotext, in den Zeitungen wie hier in der taz, die Berichte, Fakten und Spekulationen im Hinblick auf den nächsten Spieltag. Wieder der FC Bayern – oder womöglich doch noch RB Leipzig, eventuell haben ja auch noch die Borussen eine Chance. Nichts von dem war mehr, gar nichts.
Und doch war es nicht so, wie früher beim Umzug in die fremde Stadt wochenlang auf einen Festnetzanschluss der Post zu warten – irgendwann hatte man sich dran gewöhnt, nicht mehr erreichbar zu sein, Freund:innen und Familie sah man trotzdem. Die Fußballbundesliga, die fehlte: einer der Kerne der hiesigen Alltagsflüsse, Arbeit und Freizeit, Kinder, Küche, dazwischen der Fußball, das Sprechen über diesen, das Fantasieren und Mutmaßen: Ist Leipzig nicht vielleicht doch das coolste Team unter allen? Ist der HSV endgültig dem Untergang geweiht, weil er seinen Pseudomäzen Kühne nicht aus der Wolle kriegt?

Natürlich, andere Fragen des ­Alltags sind wichtiger, wer wüsste das nicht. Etwa: Wann haben alle Schulen wieder normal geöffnet? Wie schafft man es, der Renaissance der patriarchalen Kultur am Beispiel der Coronakinderbehütung in der eigenen Wohnung Einhalt zu gebieten? Was ist mit den Geflüchteten, die auf griechischen Inseln gestrandet
Jenseits des Politischen
sind und keine Hoffnung mehr haben? Und sowieso: Ist Alltagsgedankliches zum Klimawandel nicht viel drängender?
Der Ball rollt wieder. Die Bundesliga lässt ihre Mannschaften wieder aufeinander los. Grund genug für die taz, das Spektakel Fußball und seine Sonderrolle in Deutschland genauer unter die Lupe zu nehmen.
Warum hat der Fußball bei der Politik so leichtes Spiel? Was sagen Athlet:innen anderer Sportrarten zum Ausbrechen des Fußballs aus dem Lockdown? Und was halten die Spieler selbst eigentlich von den großen gesundheitlichen Experiment, das da mit ihnen veranstaltet wird?
Oder sollten wir uns einfach freuen über die Rückkehr einer großartigen Nebensache, auch wenn die Geisterspiele wohl wenig stimmungsvoll werden? Texte über den Virus Fußball in Zeiten der Pandemie.
Als er noch ’ne ganz kleine Nummer bei den Grünen war, in den frühen Achtzigern, sagte Winfried Kretschmann in einem Gespräch mit einem postlinksradikalen Magazin, Linke könnten sich nicht vorstellen, dass es ein Leben jenseits des Politischen gebe. Das wollten die Angesprochenen natürlich nicht einsehen, aber wahr war es doch: Hier die Alltage in einer privilegierten Welt, dort die politischen Forderungen für eine bessere Welt. Richtig scheint jedoch, dass jedes innere Leben in einem Menschen auch ist mit Wichtigem – und Tri­via­lem. Fußball, so gesehen, verkörpert eine Steigerung des Einfachen, des Nicht-so-Wichtigen: ein starke Verbindung im Ritualgeflecht hiesigen Alltags. Man will wissen, wie es ist – und wie es weitergeht. Wer wird Meister, wer steigt ab – und wer auf?
Getaktete Erwartungen
Die Zeit mit Corona-Einschränkungen lehrt tausendfach, wie sehr unsere Leben angefüllt waren – und wieder werden – mit Riten und getakteten Erwartungen auf das, was kommen wird: etwa den nächsten Spieltag. Bloß wieder die alte Normalität leben können, vielleicht etwas ruhiger, weil das Lockdownhafte doch auch von gewissen Zwangsläufigkeiten entlastete, jedenfalls bei sehr vielen, ein Müssen war nicht mehr rund um die Uhr.

Doch zur To-do-Liste unserer Gewohnheiten zählte, ja zählt von morgen an wieder: die Bundesliga. Als bildungsbürgerlich, zugleich links orientierter Mensch ließe sich natürlich einwenden: Ah, ist das nicht alles nur panem et ­circensis, Brot und Spiele – ein Akt der Ablenkung von wirklichen Problemen? ­Davon abgesehen, dass jede:r anders definiert, was die „wirklichen“ Probleme sind: „Brot und Spiele“ ist die Sinnformel für ein modernes, nicht mehr am Rande des materiellen Elends kratzendes Leben. Der Modus des modernen Menschen ist: die Suche nach und das Finden von Zerstreuung. Fündig kann man werden am Samstag um 15.30 Uhr, am ersten Geisterspieltag in der Bundesliga.
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