Im flämischen Niemandsland brauen die Trappisten von Westvleteren ein Bier mit hervorragendem Ruf. Seit ihr Getränk 2005 Weltruhm erlangt hat, kämpfen die 19 Männer gegen den Schwarzmarkt. Das dürfte sich trotz dem neuen Online-Shop kaum so schnell ändern.





Die Suche nach dem angeblich besten Bier der Welt führt zunächst ins belgische Gent. Dort lebt Sofie Vanrafelghem. Die 37-Jährige gilt als renommierteste Bierjournalistin Belgiens und ist weltweit eine gefragte Expertin, Sommelière und Buchautorin. Im April wird sie in den USA an den alle zwei Jahre stattfindenden Bierweltmeisterschaften als Richterin teilnehmen.

Ein Leben für das Bier

«Ich habe mich entschieden, mein Leben dem Bier zu widmen», sagt Vanrafelghem. Sie sitzt in der brennenden Sonne Gents auf der Terrasse des Restaurants Kantien mit Blick auf den Ruderkanal der zweitgrössten Stadt Flanderns. Auf dem Tisch stehen zwei lokale Spezialitäten: ein Damme-Nation-Bier und das vom Betreiber des Kantien-Restaurants gebraute Bier «13».
Die 37-Jährige hat sich die Förderung solcher lokaler Biere auf die Fahnegeschrieben. Und das, obwohl sie eigentlich aus einer Wein-Familie stammt, wie sie sagt. Bier entdeckte sie erst in den letzten Studienjahren. Nach ihren Diplomen in Rechtswissenschaften und Kommunikation an der Universität Gent arbeitete sie zunächst als Journalistin und schrieb dann ein Buch über 100 lokale Biersorten. Mittlerweile sind es fünf Werke geworden, darunter eines über die Rolle der Frauen in der belgischen Bierwelt. Mit ihrer 2012 gegründeten Firma Sofie’s World berät sie unter anderem auch Restaurantinhaber in Sachen Bierkarte und führt Anlässe wie Bier-Brunches durch.

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Vanrafelghem erzählt von einem Anlass in Abu Dhabi, an dem sie engagiert war. Als sie im Anschluss dem Organisator eine Flasche aus ihrer persönlichen Sammlung belgischer Biere überreichte, brach dieser in Tränen aus. Er beteuerte, die Flasche ausstellen und niemals öffnen zu wollen; Vanrafelghem versuchte hingegen, ihn zum Genuss des Biers zu bewegen.

Der flüssige heilige Gral


In Belgien gibt es nur ein Bier, das Liebhaber des Getränks zum Weinen bringt. Es ist der eigentliche «heilige Gral» unter den belgischen Bieren und wird von 19 Trappistenmönchen in einem Kloster im Nordwesten Flanderns hergestellt. Auf der seit 2018 zum belgischen Hersteller AB InBev gehörenden Website Ratebeer.com wurde das Bier aus Westvleteren mit dem Namen «12» und 10,2% Alkoholgehalt vom Publikum 2005 zum besten Bier der Welt gekürt. Derzeit liegt es auf Rang drei. Die Medien berichteten darüber, und in der Folge stürzten sich die Belgier auf die Mönche und deren Bier. Die Autos stauten sich vor dem Kloster in solchem Ausmass, dass die Bauern mit ihren Traktoren nicht mehr auf die Felder fahren konnten, wie der Sprecher der medienscheuen Mönche berichtet.


Vanrafelghem durfte diese, die eigentlichen Gralshüter, im vergangenen März während 24 Stunden begleiten.

Im flämischen Niemandsland

Von Brüssel aus dauert es gut zwei Stunden, bis man mit dem Auto zur Abtei Sankt Sixtus in Westvleteren gelangt. Frankreich ist nur wenige Kilometer entfernt. Die Gebäude liegen neben einem kleinen Wald inmitten weitläufiger Felder, die zum grössten Hopfen-Anbaugebiet Belgiens um das Städtchen Poperinge gehören. Dort züchten laut dem Branchenverband Hop 18 Landwirte auf 155 Hektaren Hopfen, in ganz Belgien sind es 181 Hektaren. Das ist verschwindend wenig, etwa im Vergleich mit dem grössten Hopfenproduzenten der Welt, den USA, wo die Pflanze auf rund 23 000 Hektaren angebaut wird.
Nachdem sich 1831 Trappistenmönche aus dem französischen Kloster Mont des Cats in Westvleteren niedergelassen und die Abtei Sankt Sixtus gegründet hatten, begannen sie wenige Jahre später, Bier zu brauen. Das war insofern naheliegend, als in der Umgebung bereits seit dem Mittelalter Hopfen angebaut wurde.
Seit den Anfängen haben die Mönche ihr Bier stets nur verkauft, um Geld zum Leben zu verdienen. Denn die Regeln des heiligen Benedikt, nach denen sich die Trappisten in Westvleteren richten, fordern, dass die Mönche von ihrer eigenen Hände Arbeit leben.

Keine Lieferung am gleichen oder an sonst einem Tag

«Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden», schreibt der Evangelist Matthäus. Das könnte in abgewandelter Form auch der Marketing-Leitspruch der Brüder in Westvleteren sein.

Im flämischen Niemandsland

Von Brüssel aus dauert es gut zwei Stunden, bis man mit dem Auto zur Abtei Sankt Sixtus in Westvleteren gelangt. Frankreich ist nur wenige Kilometer entfernt. Die Gebäude liegen neben einem kleinen Wald inmitten weitläufiger Felder, die zum grössten Hopfen-Anbaugebiet Belgiens um das Städtchen Poperinge gehören. Dort züchten laut dem Branchenverband Hop 18 Landwirte auf 155 Hektaren Hopfen, in ganz Belgien sind es 181 Hektaren. Das ist verschwindend wenig, etwa im Vergleich mit dem grössten Hopfenproduzenten der Welt, den USA, wo die Pflanze auf rund 23 000 Hektaren angebaut wird.
Nachdem sich 1831 Trappistenmönche aus dem französischen Kloster Mont des Cats in Westvleteren niedergelassen und die Abtei Sankt Sixtus gegründet hatten, begannen sie wenige Jahre später, Bier zu brauen. Das war insofern naheliegend, als in der Umgebung bereits seit dem Mittelalter Hopfen angebaut wurde.
Seit den Anfängen haben die Mönche ihr Bier stets nur verkauft, um Geld zum Leben zu verdienen. Denn die Regeln des heiligen Benedikt, nach denen sich die Trappisten in Westvleteren richten, fordern, dass die Mönche von ihrer eigenen Hände Arbeit leben.

Keine Lieferung am gleichen oder an sonst einem Tag

«Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt; und wenige sind ihrer, die ihn finden», schreibt der Evangelist Matthäus. Das könnte in abgewandelter Form auch der Marketing-Leitspruch der Brüder in Westvleteren sein.
Web-Shop der Mönche. Das mag zunächst modern klingen, doch die Geschäftsbedingungen spotten jeglichen Standards aus der Welt des Online-Detailhandels à la Amazon und Zalando, wo die Lieferung am gleichen Tag immer wichtiger wird. Die Mönche bieten keinen Lieferservice an. Und in Restaurants und bei Detailhändlern ist das begehrte Produkt auch nicht erhältlich.
Alle Bierliebhaber, die mehr als ein paar Flaschen aus dem Hofladen kaufen wollen, müssen sich zunächst im Internet anmelden. Anschliessend kann man einem Kalender entnehmen, wann das nächste, nur wenige Stunden dauernde Verkaufsfenster öffnet. In diesem Zeitraum stehen 1466 Holzkästen mit je 24 Bierflaschen zum Verkauf. Alle registrierten Nutzer können maximal zwei Kisten reservieren. Wer noch nie oder schon lange nicht mehr in Westvleteren eingekauft hat, wird im digitalen Warteraum bevorteilt. Also schaltet der Kaufwillige in den Ferien im Obertoggenburg das Smartphone ein und wartet. «Laden Sie die Seite nicht neu!», lautet eine der Instruktionen. «Die Wartezeiten können 60 Minuten und mehr betragen!», heisst eine andere. Nichts passiert.
Erst einige Wochen später, im dritten Anlauf, ist es dann so weit. Man erhält einen QR-Code und ein Zeitfenster, während dessen man die Bierkästen abholen kann.

«Sie haben Glück gehabt»



Die Uhr zeigt 15.27, als die entfernt an einen McDrive erinnernde Fassstrasse gleich neben dem Kloster auftaucht. Ein Mann mit kurzen grauen Haaren und blauem Polo-Shirt steht hinter einem aus alten Bierkisten zusammengenagelten Tresen; hinter ihm befinden sich mehrere Dutzend grobe Holzkästen voller brauner Bierflaschen, ins Holz ist der Schriftzug «Trappist Westvleteren» eingebrannt. «Sie haben Glück gehabt», sagt der Mann. In drei Minuten schliesse er. 70 Autos seien schon da gewesen.
Er scannt den QR-Code und händigt zwei Holzkisten mit je 24 etikettenlosen Flaschen aus. Dann geht er vor sich hinpfeifend davon und schliesst die enge Einfahrt.

Die zwei Welten Westvleterens

In Westvleteren prallen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite der Strasse liegt das an diesem Dienstagnachmittag 16 Uhr gut besetzte Besucherzentrum und Restaurant «In de Vrede» (in Frieden), davor ein grosser Parkplatz. Die Gäste sitzen an den Tischen, schwatzen und trinken Bier. Immer wieder kommen Leute aus dem Gebäude, und in den Händen halten sie wie einen Siegerpreis zwei Schachteln. Jeweils 12 Flaschen kann man im Hoflädeli kaufen, bis das Tageskontingent aufgebraucht ist.
Auf der anderen Seite der Strasse befindet sich hinter hohen Mauern das Kloster. Auch dort steht zum Mittagessen Bier auf dem Tisch, ein eigens entwickeltes, leichteres Tafelbier. Aber die Mönche schweigen während der Mahlzeiten. Ihr sei zuvor nicht bewusst gewesen, wie wichtig die Stille für die Mönche sei, sagt Vanrafelghem. Sie beschreibt die Gemeinschaft und die Herzlichkeit der Brüder als ein besonders eindrückliches Erlebnis ihres Besuchs.
An der Stirnseite des Raums hängt ein grosses Kruzifix, an einer Längsseite steht hinter den in U-Form angeordneten Tischen ein erhöhter Sitz, von wo aus jeweils ein Bruder aus einem geistlichen Text vorliest. Das zeigen Fotografien des Journalisten Rudi Van Beek in einem Buch von Wim Vandewiele. Der Soziologe der Katholischen Universität Löwen durfte das Kloster besuchen. In seinem Fall machten die Mönche eine der wenigen Ausnahmen. Denn die Brüder haben zwar ein Gästehaus, empfangen aber keine Besucher. «Keine Führungen», heisst es auf einem Schild neben dem Eingangstor.

Der Kampf gegen den Schwarzmarkt

Auch die Vertriebsstrategie spiegelt den Gegensatz der beiden Welten. Weil die Brüder mit ihrem Bier Erfolg haben, ist das Kloster in einem ausgezeichneten Zustand. Als sie 2011 für die Erneuerung des Daches mehr Geld benötigten, brauten sie einige Tage zusätzlich zu den üblichen vier Tagen pro Monat und belieferten ausnahmsweise den lokalen Detailhändler. Die gesamte Auflage der Zeitung, welche die Gutscheine für den Kauf des Biers enthielt, war im Nu ausverkauft, und an den Kassen des Detailhändlers Colruyt standen sich die Bierfans gegenseitig auf die Füsse.
Nach der ersten Erfolgswelle 2005 begannen sich die Mönche jedoch zunehmend gegen ihren weltlichen Erfolg und die ökonomischen Gesetzmässigkeiten zu wehren.
Sie brauten, um zu leben, betont der Sprecher, und nicht andersherum. Entsprechend waren die Männer nicht bereit, die produzierte Menge von jährlich rund 6000 Hektolitern (hl) der stark gestiegenen Nachfrage anzupassen. Im Vergleich dazu konsumierte die belgische Bevölkerung 2018 gut 7 Mio. hl Bier, und nochmals 16,2 Mio. hl verliessen laut dem belgischen Brauerverband das Land als Exportgut. In Belgien gab es in jenem Jahr 304 Brauereien, die mit 6255 Angestellten über 1500 Biersorten herstellten. Westvleteren braut allerdings auch im Vergleich mit den anderen fünf belgischen Trappistenbrauereien eher wenig. Die Konkurrenten produzieren – für das offizielle Trappisten-Label zwingend unter Mitwirkung von Mönchen – grob geschätzt zwischen 5000 hl (Achel) und 180 000 hl (Chimay). Eine der grössten Brauereien Westeuropas, die Stella-Artois-Brauerei des AB-InBev-Konzerns in Löwen, weist eine Kapazität von 12 Mio. hl pro Jahr auf.
Ist die Nachfrage grösser als das Angebot und wird die produzierte Menge nicht ausgeweitet, steigt der Preis, sagt ein ökonomisches Gesetz. Doch die Mönche wollten den Preis nicht anheben. Vanrafelghem erzählt, die Mönche hätten sie stattdessen gar gefragt, ob sie die Preise nicht senken sollten. Für eine Flasche des prestigeträchtigen Westvleteren-12-Biers bezahlt man bloss € 1.90.
Da die Trappisten den Bierkauf vielen Privatpersonen ermöglichen möchten, fokussierten sie sich fortan auf die Zuteilung der beschränkten Menge. Dafür richteten sie zunächst ein Bier-Telefon ein. Nur wer darüber seine Nummernschilder anmeldete, konnte maximal alle zwei Monate das Getränk abholen.
Aus ökonomischer Sicht wenig überraschend, entwickelte sich ein Schwarzmarkt mit deutlich höheren Preisen. Eine «Bier-Mafia» nahm das Telefon in Beschlag und «hackte» es, wie Vanrafelghem berichtet. Für Normalbürger gab es fast kein Durchkommen mehr. Über den Schwarzmarkt vertriebene Westvleteren-Biere kosteten schnell einmal 20 bis 30 €.
Im März 2018 brachte dann eine niederländische Supermarktkette das Fass zum Überlaufen. Jan Linders verkaufte 7200 Flaschen für jeweils € 9.95. Die Mönche hielten das für unethisch. Entsprechend machten sie sich daran, eine neue Lösung zu finden, um den Schwarzmarkt zu bekämpfen. «Wir haben lange und gründlich über eine gute und kundenfreundliche Alternative nachgedacht», lässt sich der Abt von Sankt Sixtus, Manu Van Hecke, dazu in einer Mitteilung zitieren. Herausgekommen ist der beschriebene Online-Shop.
Auch dieser ist trotz den restriktiven Bedingungen ein Erfolg. «Mehrere Monate» könne es dauern, bis wegen der limitierten Verkaufsmenge alle registrierten Nutzer bedient würden, heisst es auf der Website. Mittlerweile haben sich 40 000 Nutzer registriert. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird aus dem System verbannt. Die Mönche seien mit dem Online-System sehr zufrieden, sagt ihr Sprecher. Sie träfen nun viel mehr Leute beim Abholen von Bier, die sie noch nie gesehen hätten. Und auf dem Schwarzmarkt sei weniger Westvleteren-Bier zu finden, sagt der Sprecher weiter. Dennoch ist fraglich, ob sich der Schwarzmarkt so einfach austrocknen lässt.

Keine Mengenausweitung in Sicht

In jedem Fall bleibt es äusserst schwierig, an den heiligen Gral des belgischen Biers zu gelangen. Entsprechend dürfte auch der Kult um das angeblich beste Bier der Welt weiter anhalten. Das ist für jeden Manager eines grossen Bierkonzerns gerade in Zeiten zunehmender Nachfrage nach Bierspezialitäten eigentlich ein Wunschszenario. Da die Mönche jedoch eisern an ihren Prinzipien festhalten, können Bierliebhaber sich nur in Geduld üben und hoffen, dass das Klosterdach bald wieder leckt. Und übrigens: Das dunkle Bier der Brüder verfügt über leichte Kaffeearomen und schmeckt tatsächlich hervorragend, auch wenn es vielleicht nicht für jeden das beste Bier der Welt ist.